Was macht ein marktschädigendes Angebot aus? Als dieser Text verfasst wurde, stand der Autor gerade kurz vor seinem Masterabschluss in Übersetzen. Und so ein Studienabschluss ist gerade die Zeit, in der sich angehende Übersetzer die ersten Sporen auf dem Markt verdienen, erste eigene Angebote an Land ziehen und erste Erfahrungen in ihrem späteren Berufsfeld sammeln.
Passend dazu gibt es informelle Jobbörsen verschiedener Studierendenschaft im Internet, auf der ungefiltert Angebote inseriert werden können, mit denen sich die Studierenden ein kleines Taschengeld verdienen oder auch zum Teil in größere Sphären vordringen können.
Was war geschehen?
Einigen Wochen zuvor jedoch war dort für wenige Augenblicke ein derart unmoralisches Angebot veröffentlicht, dass es binnen weniger Sekunden zu einer hitzigen Diskussion um die Dreistigkeit und mangelnde Moral gerade im Umgang mit Berufseinsteigern kam. Besagtes Angebot war eine Anfrage einer Person, die offensichtlich selbst Übersetzen studiert hatte. Der Auftrag bestand aus der Übertragung von 51 Seiten technischer Dokumentation aus dem Portugiesischen ins Englische.
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Das ist so weit noch keinen Aufschrei wert, besonders Berufsanfänger mit dem Spezialgebiet Technik sollte so eine Möglichkeit erfreuen. Jedoch stand explizit bei diesem Angebot, dass keinerlei Bezahlung zu erwarten sei. Die komplexe Fachübersetzung sollte also ohne jegliche Entlohnung geleistet werden. Und das in einem Land, dessen Amtssprache nicht einmal beteiligt war. Glücklicherweise schalteten sich sofort nicht nur aufmerksame Kommilitonen in die Diskussion ein, sondern auch erfahrene Übersetzer und Mitglieder der Berufsverbände. Auch wenn die Inserentin die Aufregung nicht wirklich zu verstehen schien, war das Angebot binnen weniger Sekunden wieder offline.
Ein fades Gefühl
Zurück bleibt jedoch das fade Gefühl, dass solche Offerten keine bloßen Ausnahmen sind. Der Beruf des Übersetzers ist nicht rechtlich geschützt. In der Theorie kann sich jeder, der seine Fremdsprachenkenntnisse für ausreichend gefestigt hält, Übersetzer nennen und für seine Dienste Geld verlangen.
Es ist keinesfalls selbstverständlich, als „Probeübersetzung“ für einen potenziellen Arbeitgeber Aufträge im vierstelligen Wortbereich unentlohnt bewerkstelligen zu müssen. Es ist ebenso wenig normal, zu verminderten Zeilen- oder Wortpreisen zu arbeiten, nur weil man gerade seine Existenz aufbaut. Das volle Programm von Terminologiearbeit – Übersetzung – Lektorat ist mit einer pauschalen Vergütung nicht sofort abgespeist. Und ein Ding der Unmöglichkeit ist es, Fachübersetzungen ohne Bezahlung anfertigen zu sollen, wenn bereits zwischen drei (Bachelor) und fünf (Master) Jahre an Ausbildung oder unzählige Nachtschichten zur Vorbereitung auf die nicht minder anstrengende staatl. Prüfung in diesen so wunderbar offenen, kommunikativen und kreativen Beruf investiert wurden.
If you’re good at something, never do it for free.
Zumal es im Bereich der Justiz Gesetze zur vorgeschriebenen Vergütung von Übersetzungs- und Dolmetschdienstleistungen gibt. Und auch in der freien Wirtschaft gibt es Maßstäbe, nach denen sich die Preise für Freelancer und für Übersetzungsbüros kalkulieren lassen. Wer sich an dieser Stelle zu schade ist, eine solide Investition in einen kultur- und spracherfahrenen Übersetzer zu tätigen, sollte es gerade bei Fachübersetzungen einmal vergleichsweise mit Online-Übersetzungstools oder -plattformen versuchen – der individuelle Kundenkontakt wird nicht das Einzige sein, was dort fehlt.
Die gesunde Mitte finden
Gleichermaßen darf man als Berufseinsteiger selbstverständlich auch nicht vergessen, dass man sich mit überzogenen Forderungen schnell seinen mühsam aufgebauten Kundenstamm vergraulen kann. Aber die überlegte Form der Individualabsprache sollte nicht nur Bestandteil des gesunden Menschenverstandes sein, sondern auch ein Zeichen von gutem Geschäftssinn.
Über Preise und Angebote lässt sich immer reden, jedoch sollten sich Berufsanfänger und auch Berufserfahrene nicht zu schade sein, auch mal ein zu niedriges Angebot einfach abzulehnen – oder dem Kunden zumindest freundlich aber bestimmt zu sagen, dass dies bei Weitem nicht den Erwartungen und den Maßstäben für gute Qualität entspricht. Schließlich will doch ein jeder von seinem Beruf leben und nicht überleben können.