Wie stark sollten sich Übersetzer auf ein Fachgebiet spezialisieren?

Positionierung als freiberuflicher Übersetzer oder Dolmetscher

In der Ausbildung zum Übersetzer und Dolmetscher wird man zwar generell auf die Fachgebiete vorbereitet, in denen man potenziell später Aufträge erhalten könnte. Die Realität zeigt aber mehr und mehr, dass sich die Tätigkeitsfelder von Fachübersetzern und Fachdolmetschern in die Breite entwickeln. Es gibt schon längst nicht mehr nur das Feld der Technikübersetzung, der Medizinübersetzung, der Rechtsübersetzung oder der Wirtschaftsübersetzung.

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Diese Themenfelder berühren sich untereinander, wandeln sich, breiten sich aus oder schrumpfen zusammen. Durch neue Technologien entstehen neue Felder, in denen gut ausgebildete Sprachdienstleister bislang rar sind.

Wer sich beispielsweise auf Medizin als Fachübersetzer spezialisieren möchte, steht nach den ersten Aufträgen sicherlich vor der Wahl: Liegt einem eher die Medizintechnik, die Kommunikation im Gesundheitswesen oder doch das Gesundheitsrecht? Aber selbst diese Entscheidungsmöglichkeiten kratzen beinahe noch an der Oberfläche. Viele Freiberufler und Agenturen zählen ein sehr enges Fachgebiet zu ihren Bestandskunden. So erzielt ein Freelance-Übersetzer oder -Dolmetscher womöglich einen Großteil seines Einkommens aus den Fachübersetzungen von Pharmastudien oder der Verdolmetschung von Vorstandstreffen. Ein anderer mag sich vielleicht auf die technische Dokumentation von Krankenhausgeräten spezialisiert haben und fungiert ausschließlich als Sprachexperte für einen bestimmten Hersteller oder Zulieferer. In glücklichen Fällen führt diese extreme Form der Fokussierung sogar dazu, dass sich aus dem Alleinstellungsmerkmal des Fachgebiets ein eigenes Unternehmen entwickelt. Beispiele gibt es zu Hauf: Etwa der Technikübersetzer, der von der Auftragslage so überwältigt ist, dass er sich einen zweiten (dritten, vierten…) Fachübersetzer zur Bewältigung aller Anfragen mit ins Boot holen muss, woraus sich wiederum ein Fachübersetzungsunternehmen genau für ein Fachgebiet entwickelt.

Dabei ist natürlich keinesfalls zu vergessen, dass Softwarelokalisierer, technische Redakteure, Übersetzer im Postediting und Priming auch eine Fachübersetzungstätigkeit ausüben.

Der Sinn hinter der Spezialisierung auf ein Fachgebiet

Für den Kunden

Der Nutzen beim Kunden liegt in der Qualitätssteigerung der Übersetzungen. Ein Fachübersetzer der sich nicht nur auf einen übergeordneten Bereich, sondern auf die untergeordneten Fachgebiet spezialisiert hat, verfügt über mehr Übersetzungserfahrung mit Hinblick auf die Terminologie, die Abkürzungen, gegenwärtige Debatten und den aktuellen Stand des Fachs an sich. Inhaltliche Inkonsistenz oder gar Fehler wird ein solcher, spezialisierter Fachübersetzer mit höherer Wahrscheinlichkeit entdecken als es bei weniger bewanderten Kollegen der Fall wäre. Allgemein senkt eine solche Spezialisierung auch die die Bearbeitungsdauer, da anzunehmen ist, dass der Fachübersetzer neben seinem eigenen Wissen eine sauber gepflegtes Translation Memory besitzt. Zumal der Übersetzer oder Dolmetscher auch nicht davor scheuen wird, seine Qualifikation in Form von Referenzen vorzuzeigen – wozu nicht zuletzt auch Fortbildungsmaßnahmen und Seminarteilnahmen gelten können.

Umgekehrt heißt dies für Kunden jedoch auch, die ausgewiesene Spezialisierung und das Fachgebiet des potenziellen Auftragnehmers zu respektieren. Es nützt nichts, sich beispielsweise auf Empfehlung eines Bekannten an den Fachübersetzer zu wenden, obwohl dieser wenig bis überhaupt nichts mit dem gewünschten Themengebiet anzufangen weiß. Wer fachliche Qualität auf Spezialgebieten sucht, wird sicherlich auch etwas Zeit zur Marktsondierung in Kauf nehmen müssen. Außerdem sollte man als Kunde ggf. auch misstrauisch werden, wenn ein angeblich professioneller Übersetzer angibt, alle Fachgebiete zu überschauen oder ungewöhnlich viele Sprachen bedient. Diese schier übermenschlichen Fähigkeiten sind selten so breit gestreut, dass man damit wirklich professionell übersetzen oder dolmetschen kann.

Für den Dolmetscher oder Übersetzer

Dies gilt genauso für die spezialisierten Fachübersetzer und Fachdolmetscher. Ihr hoher Grad an Wissen auf dem Fachgebiet macht sie nicht nur zu Sprachmittlern sondern zu Experten. Besonders bei extrem komplexen Themengebieten kann dieses Merkmal von großem Nutzen sein, man denke beispielsweise an die Übersetzung von astro-physischen Veröffentlichungen, politikphilosophischen Diskursen oder finanzwirtschaftlichen Communiqués. Wer sich als Fachübersetzer auf diesen Punkten mehr als gut auskennt und womöglich sogar noch aus eigenem Interesse das Geschehen verfolgt, wird mit großer Sicherheit einen soliden Platz in der Fachübersetzungsbranche einnehmen können. Wie schon im Abschnitt zuvor erwähnt, ist daher auch eine kontinuierliche Fortbildung bzw. Aktualisierung der eigenen Kenntnisse unerlässlich. Auf den Seiten der Berufsverbände (z. B. DVÜD und BDÜ) oder im Online-Magazin UEPO findet man Hinweise auf Fortbildungsangebote jeglicher Art.

Allerdings darf zugleich nicht vergessen werden, dass es auch ein gewisses Maß an Risiko nach sich zieht, wenn man sich „so richtig tief in ein Thema hineinkniet“. Wer seinen Fokus und seine gesamte Arbeitsenergie auf ein Gebiet legt, ist ein Fachidiot und grenzt sein Arbeitsumfeld stark ein. So kann der Wegfall eines Bestandskunden zu einem existenziellen Risiko werden. Zumal man sich kontinuierlich fortbilden muss und einen stetigen Überblick über gegenwärtige Tendenzen auf seinem Markt haben sollte – das kann zeit- und kostenintensiv werden. Wer als Sprachexperte also eine ökonomische Nische für sich einnehmen möchte, sollte Ausdauer und Flexibilität mitbringen.


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Felix Hoberg

Felix ist Übersetzer mit den Arbeitssprachen Französisch und Spanisch und bloggt aus Leipzig über relevante Inhalte für Übersetzer und Dolmetscher bei Übersetzer.jetzt